6. September 2017

Kurz vor dem Mauerfall: CHARITÉ-Berlin, 1988

Heute fiel mir ein alter Katalog mit dem Titel „Amsterdam, Berlin/DDR, Madrid, Berlin (West)“ von 1989 in die Hände. Die Karl Hofer Gesellschaft hat ihn herausgegeben. Alle Kunstwerke darin stammen aus 1988 bzw. der ersten Hälfte 1989. Also einer Zeit, in der es für uns noch unmöglich erschien, dass Ost und West einmal eins sein würden.

Dazwischen stand DIE MAUER. Das mächtige, schier unüberwindbare Symbol der Trennung. Eine Grenze, die mit Waffengewalt, Selbstsschussanlagen, Minenfeldern und Soldaten aufs Brutalste verteidigt wurde. Einer der dort veröffentlichten Künstler: Der junge Winfried Muthesius. Ein Künstler, dessen Werke zwar zurückhaltend, doch im Subtext immer ausgesprochen politisch sind.

 Er zeigt u.a. zwei seiner Stadtansichten von der Charité Berlin. Doch sind diese anders als alles zuvor.

Charité – Berlin, 1988

Schon im Titel fällt das auf. Es steht nicht zuerst die Stadt, dann der konkrete Ort, den er in den Blick nimmt, wie sonst bei ihm üblich. Es ist genau umgekehrt: „Charite – Berlin, 1988“. Er dreht die Perspektive, weitet sie auf. Man blickt vom Westen in den Osten, durch die Mauer hindurch, besser über sie drüber.

Auch der aufwändige Prozess seines künstlerischen Arbeitens an dieser Bilderreihe hat Symbolkraft. Er malt, zerreißt das Papier, klebt, reißt wieder ein, setzt neu zusammen, bis seine Arbeit den genius loci eingefangen hat, den er intuitiv – vorausschauend im Hinblick auf das, was historisch noch passieren sollte – fixiert. Sicher mehr als ein Wunsch; Muthesius gelang es, auszudrücken, was in der Luft lag und in ihm, das absolute Bedürfnis nach Veränderung der Verhältnisse.

Charité – Berlin 1, 1988

Die Bilder heißen, wie der physische Ort; zu sehen aber ist nur noch das notwendig Fragmentarische, die Essenz dessen, was den Ort ausmacht, geprägt durch die Geschichte und die Erfahrungen der Menschen, auch des Künstlers. Er verdichtet sie in seinem Werk auf eindrückliche Weise, löst die konkrete Dingwelt auf, damit das, was darunter versteckt ist oder bereits anfängt zu brodeln, aufbrechen kann. Subtil erreicht den Betrachter dadurch ein Appell, in dem es um Veränderung geht, um das Hinterfragen von Bestehendem, um die Offenheit für neue Sichtweisen.