17. Juli 2017

Schock in Kapelle

Muthesius mit Axt in Kapelle

„Zu schön, um wahr zu sein“ ist der Titel eines Symposiums der Akademie Schwanenwerder, die anlässlich der Verabschiedung des Gründungsdirektors der Stiftung St. Matthäus, Pfr. Christhard-Georg Neubert, am 12.Juli 2017 stattfand.

Vorher: Kapelle mit GOLDEN FIELD von Winfried Muthesius, Haus Schwanenwerder, Wannsee, Berlin

Ein frommer Akt? Das war nicht der Plan. Vielmehr eine heftige Provokation. Wir wurden Zeugen einer außergewöhnlichen Intervention des Künstlers Winfried Muthesius.

Als die Besucher den Sakralraum betreten, steht Muthesius im schwarzen Used-Look-Anzug da, einen Besen in der Hand, und fegt in aller Seelenruhe den Boden.

Der Künstler fegt den Boden. Ein Reinigungsritual?

Er holt eine Plane aus einer dort deponierten schwarzen Reisetasche und breitet sie auf dem freien Platz vor dem Altar aus. Darauf platziert er mittig zwei Holzkisten. Die Reisetasche, in der er Schweres zu transportieren scheint, stellt er in Reichweite daneben. Die Besucher beobachten die Szenerie aufmerksam.

Vorbereitungen auf die etwas andere Bildandacht

Nun zieht sich Muthesius weiße Handschuhe über, schreitet zum Altar, aus dem ein Christus-Torso ohne Arme aufragt. Ein Kreuz sieht man nicht. Muthesius – ganz in Schwarz – stellt sich hinter den Altar, wo üblicherweise der

Pastor zu stehen pflegt, nur mit dem Rücken zu den Besuchern, und betrachtet eine Weile in Stille das Altarbild an der Wand, ein GOLDEN FIELD. Die Stiftung St. Matthäus hatte es vor einigen Jahren erworben. Es stammt von ihm. Heute, bei bewegtem Wolkenhimmel, erzeugt es besonders diffuse Effekte. Wie eine Energiequelle wirkt es. Ein Bild erinnert an etwas, das über die Realitäten des Alltags hinausweist. Es strahlt Ruhe aus. Auch in der Kapelle ist es ruhig.

Andächtig vor dem Werk, das an Ewigkeit erinnert

Doch dann. Was macht er? Muthesius nähert sich dem Altarbild, nimmt das schwere und sperrige Teil mit seinen weißen Handschuhen vorsichtig von der Wand und legt es auf die Holzkisten über der Plane. Man glaubt, die Anspannung im Raum knistern zu hören, als er aus der Reisetasche eine Axt herausholt und zum Hieb anhebt. Ein gehauchtes „Nein“, sonst Erstarrung und Stille.

Axthieb ins Kunstwerk. Die Besucher – erstarrt vor Schrecken. Nur die Presse fotografiert.

Dann schaltet er die Kettensäge ein. Er setzt – bei ohrenbetäubend klingenden Heul-Geräuschen – das brachiale Werkzeug mit seinem scharfen Sägeblatt vorsichtig an, trennt ganze Seitenteile ab und zerstört die Vollkommenheit der feinen Gold- Strukturen.

Muthesius legt mit brutalen Werkzeugen Hand an sein GOLDEN FIELD.

Man könnte eine Nadel fallen hören. Äußerste Anspannung. Unbewegt starren die Menschen auf das Unglaubliche.

Was geschieht da?

Dann kommt der Tagungsleiter und ruft die Besucher nach oben. Das Symposium beginnt. Still erheben sich die Zuschauer, sie nähern sich dem Bild und betrachten es lange. Erst dann verlassen sie langsam die Kapelle.

Was hier geschildert ist, war der Anfang einer Intervention, die der Berliner KÜnstler Winfried Muthesius im Rahmen seiner „Bildandacht“, wie es im Programm hieß, durchführte. Kunst und Kirche wollten in Dialog treten.

Die Tagungsgäste hatten die einmalige Gelegenheit – ohne es zu wissen – dem Künstler bei seiner Arbeit über die Schulter zu schauen. Sie konnten zusehen, wie er ein vollkommenes GOLDEN FIELD in ein BROKEN GOLD transformierte. Sie waren Augenzeugen des ungewöhnlichen, brutal anmutenden Prozesses, der doch mit großem Feingefühl ausgeführt wurde.

Vom GOLDEN FIELD zum BROKEN GOLD

Wie auch im Leben nichts wirklich vollkommen ist, alles seine Verwundungen hat, so erfuhr durch die Einwirkung des Künstlers im Sinne des Tagesmottos „Zu schön, um wahr zu sein“ auch das GOLDEN FIELD Verletzungen schwerster, ja tödlicher Art. Fast erinnert das Ganze an ein meditatives Nachvollziehen dessen, was bei der Kreuzigung passierte.

Bei Muthesius wird ein GOLDEN FIELD Opfer seiner gewalt-igen Werkzeuge. Wenngleich sensibel angewandt, als ob er damit seinen Respekt ausdrücken wolle. Große Teile der Bildrandes schwinden. Aber auch innen, in der Bildmitte sind die Spuren von Axt und Kettensäge nicht zu übersehen. Das Resultat – sprichwörtlich aus dem Rahmen „gefallen“, Fassungs-los, beschädigt, mit Zeichen der Gewalt versehen. Fünf Axthiebe besonders eindrucksvoll mitten im Bild. Die fünf Wundmale? Dieses Bild hat nichts mehr mit dem GOLDEN FIELD zu tun, das es mal war. Etwas Neues ist entstanden: Ein BROKEN GOLD.

BROKEN GOLD – geschunden, verwundet, wahrhaftig in seinem Sein.

Das BROKEN GOLD ist nicht „zu schön, um wahr zu sein“, sondern wahrhaftig in seiner Verletztheit und deshalb schön. Aus ihm scheint, trotz der Risse und Verwundungen, noch immer das Gold, das an das Ewige erinnert, und das in jedem einzelnen Menschen zu finden ist. Immer.

ALLE FOTOS: Gierdre Kuliauskaite