Muthesius Kunst-Demonstration
Künstlerischer Akt der Zerstörung weist auf Zerbrechlichkeit von Demokratien hin
Die Demo war angemeldet. Innenministerium und Polizei haben ihre Zustimmung zu Muthesius` Kunst-Demonstration erteilt. Eine eigens für die Gruppe abgestellte Streife mit sehr freundlicher Besatzung steht bereit, damit alles friedlich bleibt.
Das übermannsgroße golden field wird angeliefert. Der Künstler trägt es auf den Platz der Republik, direkt vor den Reichstag. Er lehnt es an eine Staffelei aus Stahl, sodass es aufrecht auf dem Boden steht. Ausgestattet mit Handschuhen und Mund-/Nasenschutz, greift Muthesius zur Kettensäge. Begleitpersonen, stehengebliebene Passanten und die anwesenden Medienvertreter beobachten in Stille, was da vor sich geht. Es hat beinahe etwas Sakrales. Nur Fotografen und Filmkameras laufen umher, um möglichst das beste Bild einzufangen.
Dann packt Muthesius seine Kettensäge aus der Werkzeugkiste. Er wirft den heulenden Motor an und nähert sich sehr vorsichtig dem monochromen Gemälde. Leicht und zart, beinahe streichelnd, fährt er über das Blattgold. Er zeichnet Wunden in die glänzende Fläche, die das Holz darunter offenlegen, es aber noch nicht zerstören. Der Eindruck von Schrammen entsteht. Schrammen, die unseren Demokratien zugefügt werden.
Schrammen, die daran erinnern, dass in Corona-Zeiten politische Akteure in Europa und darüber hinaus die Pandemie nutzen, um ihre Macht und ihren Einfluss auszubauen. Zu Lasten der Allgemeinheit. Zu Lasten der Freiheit der Menschen.
Tiefer dringt er mit der Kettensäge in das Sinnbild unserer Wertegemeinschaften ein. Schnitte, die trennend wirken, furchen sich mit Gewalt in das Holz. Sie verbinden sich und lösen schließlich den Kern des Ganzen heraus. Es tut einen Schlag, als das Herzstück bricht und auf den Boden stürzt. Währenddessen frisst sich die Säge unbeirrt weiter durch unser demokratisch scheinbar gesichertes Rechtsgefüge, das jedem Menschen zustehen sollte, auf der ganzen Welt. Immer wieder fällt ein weiterer Block. Skulpturale Überreste weisen in den Himmel.
Doch vergeblich. Nach gut 20 Minuten sind auch sie dem Erdboden gleichgemacht. So schnell kann es gehen, wenn man nicht aufpasst; wenn man den Anfängen nicht wehrt. Ein Weckruf. Ein warnendes Alarmsignal in Corona-Zeiten.
Manchmal genügt der Einfluss weniger Menschen, das hat die Geschichte gelehrt, um Rechte aufzulösen und ein System zum Kippen zu bringen. „Rettet die Demokratie, damit wir Menschen unsere Freiheit behalten, überall!“, fordert der Künstler. Ein One-Man-Act, der aufrüttelt und zum Handeln auffordert.
Kurzbeitrag aus der Abendschau des rbb am 04. Mai 2020, 19.30 Uhr: